P. Herbert Douteil CSSp
Jesus-Schriftzug am Flussufer
Diözese Cruzeiro do Sul / Brasilien

Missionsarbeit am Oberlauf des Amazonas

"Bauernhof der Hoffnung Dom Luis Herbst" in Mâncio Lima
Hilfsprojekt zur Betreuung und Begleitung von bisher drogenabhängigen Jugendlichen

Eigentlich lief alles schief...

Cruzeiro do Sul, den 05.07.2010

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Der erste Wohnblock für 16 Personen ist unter Dach...

Lange warteten wir auf den Besuch von Frei Hans Stapel, dem Gründer, und Nelson Roseno, dem augenblicklichen Präsidenten der Stiftung "Esperança".
Um 17:10 war es dann so weit, daß ich zunächst Nelson, dann Frei Hans begrüßen durfte. Sogleich ging es mit dem Auto über Mâncio Lima zur "Fazenda da Esperança". Vor mir fuhr Paul Moll mit dem Motorrad her, damit ich den Weg nicht verfehlte. Wir hatten es eilig, denn ich wollte für die Fotos noch die letzte, hier in den Tropen so schnell sinkende Abendsonne nutzen. Ganz gelang es nicht – aber es war schon so einiges nicht nach Wunsch gegangen, da kam es auch auf ein wenig mehr oder weniger Licht auch nicht mehr an! Hauptsache war, daß Frei Hans und Nelson sich überaus zufrieden zeigten mit dem, was sie sehen konnten: Der erste Wohnblock für 16 Personen ist unter Dach, die Fußböden können jetzt gelegt, die Wände verputzt, die elektrische und hydraulische Installation in Angriff genommen werden. Der Dachstuhl für die Kapelle ist in Arbeit. Zu Beginn der Woche würde er aufgestellt werden können. "Das wird ja eine richtige Kathedrale!" sagte bewundernd Nelson – obwohl die Kapelle für weniger als 100 Plätze berechnet ist. Aber sie wird schön, das kann man jetzt schon sehen, wo der Turm begonnen und der Altarraum angelegt ist.

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Aushub für den Fischteich...

Eifrig diskutierend gingen Frei Hans, Nelson und Paul Moll um den ausgehobenen Fischteich, der nur deshalb noch nicht fertig ist, weil die schwere Baumaschine kurz vor Beendigung der Aushebe- und Planierungsarbeiten defekt wurde und hilflos auf dem Deich stand. "Diese Fischzucht wird neben der Erzeugung von Obstsäften und – marmeladen das wohl wichtigste wirtschaftliche Rückgrat der Fazenda werden", erklärte ich in vollstem Brustton der Überzeugung, weil ich sicher bin, daß es so sein wird. "Wir werden auch auf andere Weise den noch intakten Urwald nutzen, werden Baumschulen anlegen und auch Landwirtschaft treiben; doch wenn es sich darum handelt, noch mehr abzuholfen, werden wir es vorziehen, dafür von den Nachbarn bereits gerodetes Land anzupachten."

Die Zeit war vergangen, wir fuhren nach Mâncio Lima, wo wir von Pe. Gracenir, der P. Guilherme vertritt, den Franziskanerinnen Sr. Inês und Sr. Maria, und vom Finanzchef der Fazenda, von Allen, zu einem Stückchen Kuchen und einem kleinen Plausch im Pfarrhaus erwartet wurden. "Ihr habt uns aber lange warten lassen!" sagte Sr. Inês, worauf ich wahrheitsgemäß antwortete: "Wir wären auch sehr gerne viel früher gekommen, doch eine Höhere Gewalt verhinderte es."

Da es langsam dunkel wurde, fuhr ich mit den Gästen nach Cruzeiro do Sul, wir aßen in unserem Haus etwas zu Nacht, schließlich brachte ich die beiden ins Pfarrhaus, wo Pe. Georg Rose Frei Hans als alten Bekannten von den Treffen der Fidei-Donum-Priester herzlich willkommen hieß und einen erfrischenden Saft, das inzwischen notwendige Duschebad und die Übernachtung anbot. "Wenn nötig, kann der Ventilator die Nacht hindurch laufen; die Temperatur wird kaum wesentlich sinken", sagte Jorge den Gästen, die wirklich vom Schweiz durchnäßt waren.

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Beim gemeinschaftlichen Interview in der Radiostation 'Verdes Florestas'

Am nächsten Morgen war ich um 8:40 am Pfarrhaus. von dort gingen wir zum Interview mit der Presse – mit den Vertretern von Rundfunk, Fernsehen und den Zeitungen – in das Gebäude des diözanen Rundfunks "Verdes florestas". Die Kameras und Scheinwerfer waren bald aufgebaut, die Mikrophone aufgelegt, ich gab meine Kamera einem der Fachleute, damit auch ich berichten könnte – und machte dabei einen Fehler, daß ich nämlich die am Vorabend in Mâncio Lima gemachten bilder löschte – ärgerlich, ärgerlich, aber nicht zu ändern; jene Fotos, die Pe. Guilherme vor seiner Reise nach Deutschland machte, müssen darum die neuesten ersetzen, und wir auf neue warten, die gemacht werden, wenn Frei Hans und Nelson zur Einweihung kommen... – Frei Hans konnte in seiner unnachahmlichen, sehr warmherzigen Weise von dem sprechen, was ihn seit so vielen Jahren bewegte: vom Schicksal so unendlich vieler Drogenabhängigen und ihrer Familien; er erzählte vom Besuch des Hl. Vaters in der ersten "Fazenda da Esperança" Guaratingetá, von der Ausbreitung des Werkes in so viele Länder der Erde, vom vierten Gelübde der Hoffnung, das so viele neben den normalen Ordensgelübden der Armut, Keuchheit und des Gehorsams schon gemacht haben, von dem Wandel bei den Jungen und Mädchen, die bisher keine Liebe empfangen hatten und so in die Drogen abgerutscht waren. "Das eigentliche Problem bei allen ist das der fehlenden Liebe! Wenn die Jugendlichen sie erfahren, dann kommt auch die Kraft, sich gegen die Laster zu stellen und sie zu überwinden! Das Drogenproblem und seine Lösung ist ein Liebesproblem, das auf Lösung wartet!" – Es ist natürlich nicht möglich, in wenigen Sätzen alles zusammenzufassen, was Frei Hans da sagte – ich konnte nur denken: "Wir werden auch hier versuchen, dieses Programm in die Wirklichkeit umzusetzen!"

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Als nächstem wurde mir das Wort erteilt mit der Frage, wie wir denn hier auf den Gedanken gekommen wären, eine "Fazenda da Esperança" aufzubauen. Ich erklärte, daß dies doch nahe gelegen hätte – zunächst hätte ich mich dem Probem der behinderten Kinder zugewandt. als dieses durch die Gründung der Stiftung "Jesuskind von Nazareth" und die Übergabe an die Brasilianer auf gutem Wege sei, müßten wir uns doch dem drängendsten Problem auf der ganzen Welt zuwenden, nämlich den Jugendlichen, die ihr Leben und ihre Zukunft vergeudeten, die ihre Familie so leiden ließen – ich hätte Frei Hans und Nelson zweimal bei den Kongressen von "Kirche in Not" in Augsburg getroffen, ihre Berichte gehört und gleich gedacht: "Das ist das Richtige auch für uns!" Als ich Sr. Maria da Paz, Pe. Guilherme Stader und auch Dom Luís Herbst als Mitstreiter gefunden hätte, habe es keinen Aufschub mehr gegeben – das Werk hat begonnen!

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"Und wie waren in Guaratinguetá die kleinen Anfänge?" wurde Nelson gefragt, der von Anfang an mit Frei Hans das Werk aufgebaut hat. "Es begann mit dem Lesen und Ernstnehmen der Bibel", berichtete Nelson, "Frei Hans las jeden Tag mit uns einen Vers der Bibel, den wir mit in den Tag nahmen; am 29. Juni – dem Fest des hl. Petrus – war es der Satz aus dem 1. Korintherbrief (9,22): 'DenSchwachen wurde ich ein Schwacher, um die Schwachen zu gewinnen. Allen bin ich alles geworden, um auf jede Weise einige zu retten'. Dies Wort hatte ich an jenem Morgen im Kopf, als ich wieder einmal an der Gruppe von Drogenabhängigen an der Straßenecke bei der Kirche vorbei kam. Dieses Wort gab mir die Kraft und den Mut, mich an einen von ihnen zu wenden und ihn zu bitten, mir doch zu zeigen, wie man Armbänder machen könnte. Dieser Junge war zunächst erstaunt, doch dann lud er mich nach Hause ein und zeigte mir einige einfache Griffe, wir kamen ins Gespräch, und er sagte mir, wie gerne er aus diesem Leben heraus käme. Ich lud ihn ins Pfarrheim ein – er kam, und bald kamen immer mehr und mehr... Wir bekamen einen Bauernhof geschenkt, wohin wir mit den Jugendlichen gehen konnten. Dort entwickelte sich ganz natürlich das Projekt des "Bauernhofes der Hoffnung" – gemeinsames Leben, Arbeiten, Bibellesen und –teilen.
Inzwischen haben wir hier in Brasilien mehr als 60 Bauernhöfe – dreißig sind uns schon geschenkt und warten nur darauf, daß wir ausgebildete Mitarbeiter hinsenden können. Die Nachfrage ist unendlich groß und drängend!" – Hier ergänzte Frei Hans: "Wenn der Staat nichts tut, wird er unendlich viele Gefängnisse bauen müssen – und von 100 Gefangenen werden 80 rückfällig, 20 gebessert. Bei uns ist es genau umgekehrt: 80 werden gebessert und von den Lastern befreit, 20 fallen ins Laster zurück!"

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Besuch bei Dom Luís: v.l.n.r.: P.Herbert – Sr. Maria da Paz – Frei Hans – Dom Luís – Nelson Rosendo

Vom Radio aus fuhr ich mit den Gästen zur Geistlichen Zentrum der Diözese, wo Altbischof Ludwig und Sr. Maria da Paz auf uns warteten; beide sind für unseren Bauernhof unersetzliche Personen: Dom Luís hilft uns nicht zuletzt durch die Mittel, die er noch auftreiben kann, Sr. Maria da Paz durch den guten und immer bestens durchdachten Rat. Das Gespräch mit Frei Hans und Nelson war wieder sehr angeregt und aufschlußreich – für alle ein Gewinn! Wir schauten uns auch noch die Kapellen des Zentrums an – die wunderschöne, achteckige Kapelle des früheren Kleinen Seminars mit den wunderschönen Glasfenstern und der beeindruckenden Deckenkonstruktion – und den Gebetsraum mit der originalgroßen Kopie des Gnadenbildes von Guadalupe – und hier wurde der Gedanke geboren, daß wir unseren Bauernhof am 12. Dezember offiziell einweihen werden. "Bis dahin kommen ab Ende August etwa zehn bis zwölf sog. 'Missionare', frühere Drogenabhängige, die frei geworden sind und jetzt als Gesandte unter den Jugendlichen wirken. Sie besuchen alle Schulen und Pfarreien, alle Gruppen und Vereine – gehen auch auf die Straßen und zu den Radiosendern und in die Kapellen, um möglichst viele zu treffen und von ihren Erfahrungen zu sprechen. Wenn das 'Klima' auf diese Weise vorbereitet ist, kann der Bauernhof eröffnet werden und mit der Tätigkeit beginnen; dazu werden zwei besonders ausgebildete junge Leute kommen, die ihre Gelübde in der geistlichen Gemeinschaft der 'Hoffnung' bereits abgelegt haben", sagte Frei Hans.

Für mich war es Zeit geworden, mich von den Besuchern zu verabschieden, denn ich mußte auf meine Seelsorgereise bis zum Tauari, hatte am Nachmittag das Fest des hl. Johannes in dessen Gemeinde an der Transamazônica, am nächsten Sonntag drei Gottesdienste, am Montag einen im 7. Siedlungsweg von Sª Luzia und am Nachmittag und am Dienstagmorgen zu Ehren des hl. Petrus in der Gemeinde Lagoinha. Pe. Jorge übernahm die Sorge für die Gäste; leider kam es nicht zum geplanten Treffen mit Bischo Mosé, der zu einem Pastoralbesuch in Eirunepé weilte und von dort keinen Flug bekommen hatte – in dieser Hinsicht sind wir also von unseren Gegebenheiten abhängig!

Am Samstagabend und am Sonntagmorgen zelebrierte Frei Hans die Messen in der Kathedrale, von dort fuhr er zu einer weiteren Messe nach Mâncio Lima, wo er auch die LeiterInnen der Gemeinden des Innern traf, mit ihnen zu Mittag aß und von dort zum Flughafen gebracht wurde. Auf dem Plan stand für ihn und Nelson der Besuch des "Bauernhofes der Hoffnung" in Sena Madureira bei Rio Branco, wo am 2. Juli der zweite Wohntrakt eingeweiht wurde, für den der Gouverneur das Geld gegeben hatte; bei dieser Einweihung würde Frei Hans auch von unserem neuen Bauernhof sprechen und anklopfen, ob wir nicht auch eine ähnliche Hilfe erfahren könnten. Daß wir auf diese Zusage warten, ist natürlich klar – aber können wir unser Weiterarbeiten davon abhängig machen? "Wenn wir uns auf die Zusagen der Politiker verlassen hätten, stünde jetzt noch keine einzige Wand!" sagte schon häufig Pe. Guilherme, "hier dürfen wir uns nur auf jene Hilfen verlassen, die uns aus der Heimat kommen!" – dem habe ich nichts hinzuzufügen, meine lieben Freunde, die Ihr bisher den Bericht gelesen habt und denen ich für all diese größeren und kleineren Hilfen danke!